Woche Elf

Sejerö

Eine Reise mit einem Segelboot birgt immer Potenzial für Überraschungen - so auch die Fahrt von Grenaa nach Sejerö. Mit halbem Wind wollten wir die knapp 35 Seemeilen einfach absegeln. Die geplante Route bestand im Wesentlichen aus einer langen Geraden bis zur Nordwestspitze der kleinen Insel, die die Bordfrau als Ziel ausgerufen hatte. Und so fuhren wir - erst langsam, dann etwas schneller, dann noch etwas schneller, es lief toll. Irgendwann baute sich eine Welle auf, scheinbar ohne Richtung, kabbelig und durcheinander. Der Wind nahm zu, und wir wurden weiter schneller. Die Welle schien sich zu überlagern mit einer weiteren Welle, die für uns seitlich einlief. Der Wind nahm weiter zu, war inzwischen deutlich über der Vorhersage, die Wellen wurden noch höher, aber nicht weniger durcheinander, dafür war jede zweite Woge mit annähernd abreißenden, weißen Kronen verziert. Die Rumpfgeschwindigkeit der Santanita war längst stabil überschritten. Die Wohlfühlgrenze wurde erreicht, als ein Verkehrstrennungsgebiet näher kam, wo die dicken Pötte unseren Weg queerten. Oder queerten wir deren Weg? Eine sichere Durchfahrt konnte nur gewährleistet werden, indem wir Fahrt rausnehmen würden. Wir fuhren etwas höher an den Wind und rollten die Genua weg. Trotzdem verringerte sich unsere Fahrt kaum, und durch das fehlende Vorsegel begann unser Boot derb zu schlingern in der chaotischen See. Die Bordfrau packte den ganzen Mut in ein Manöver zum Reffen des Großsegels. Als dies geschehen war, öffnete sich auch die Lücke zwischen einigen Frachtern. Wir rollten die Genua wieder aus, aber eine angenehm-stabile Fahrt wurde es auch in dieser Konfiguration nicht. Also bargen wir das Vorsegel wieder und nahmen das Schlingern in Kauf, denn das Ziel war fast erreicht, und südlich der Insel wurden sowohl Seegang als auch Wind weniger.
Im Hafen bekamen wir Hilfe beim Anlegen von den Besatzungen zweier Boote, die uns vorher überholt hatten. Längsseits hinter der schützenden Außenmole kamen wir schnell wieder zur Ruhe. Puh, das war ein unerwartet heftiger Ritt.

zu dritt

Tags drauf liehen wir uns Fahrräder und erkundeten ein bisschen die Insel - wirklich schön!

Leuchtturm Sejerö

Rehe

An dem Leuchtfeuer, das wir am Tag davor noch von Seeseite gesehen hatten, trafen wir auf die ebenfalls ausgeflogene Crew, die uns beim Anlegen geholfen hatte und die direkt hinter uns an der Mole lagen. Im Gespräch mit dem segelnden Paar fanden wir heraus, dass wir gemeinsame Freunde haben, nämlich die, die wir vor einigen Wochen in Schweden in Skaerhamn getroffen hatten - klein ist die Welt, und noch kleiner die segelnde Gesellschaft.

Am Abend grillten wir gemeinsam und erklommen danach eine Anhöhe hinter dem Hafen, um den Sonnenuntergang zu beobachten. Als wären sie extra dafür bestellt, trafen sich neben dem niedergehenden, roten Ball am Horizont die 'Mein Schiff 7' und die 'Color Fantasy' - ein spektakuläres Bild, das wir gleich x-fach im digitalen Bildspeicher ablegten.

drei Dicke


Ballen

Auch die Überfahrt nach Ballen auf Samsö wurde nicht langweilig. Wir wollten an dem schwachen Westwind aufkreuzen, aber nach drei oder vier Schlägen war auch der wenige Wind weg, und der eingebaute Volvo-Diesel musste mal wieder ran.

Die Fahrt ging durch ein auf der Seekarte rot schraffiertes Gebiet, das uns als Schießgebiet ausgezeichnet war und für das wir uns auf einer Internetseite vorher über Aktivitäten informiert hatten. Das Gebiet sollte zur Zeit unserer Durchfahrt nicht für Übungen genutzt werden, und so hielten wir einfach drauf. Beim Verlassen dieses Gebietes fuhren wir auf eine Gabelung mehrerer Verkehrstrennungsgebiete zu. Vor uns war 'plötzlich' massiver Schiffsverkehr - kein Schiff unter hundert Metern Länge. Die dicken Dinger sind teils mit enormer Geschwindigkeit unterwegs (Zeit ist Geld), und in deren Fahrgebieten sind sie naheliegenderweise priorisiert. Diese Situation war 'dichter' als alle vorherigen, und so schalteten wir wieder unseren UKW Seefunk ein. Es dauerte nicht lange, bis wir von der Verkehrsleitstelle angerufen wurden und auf die Besonderheit der Umstände und unseres Vorhabens hingewiesen wurden. Der professionelle Verkehrs-Seefunk benutzt dabei einen eigenen, spezifischen Wortschatz, natürlich gebrochen englisch, den wir nur zu Teilen und durch Nachfragen entschlüsseln konnten. Wir sollten uns von Gebieten freihalten und hätten ohnehin bereits irgendetwas getan. Wir könnten Kurs halten und Ballen weiter ansteuern. Mit dieser etwas irritierenden Information beschlossen wir, unseren Kurs beizubehalten und durch Regulierung der Geschwindigkeit eine Gelegenheit für die Querung beider See-Autobahnen zu finden. Die Sicht war uneingeschränkt, der Verkehr dicht, aber übersichtlich, und so taten wir es wie beschlossen. Die Passage verlief problemlos und ohne weitere Vorkommnisse. Nach der Durchfahrt konnten wir Segel setzen und die letzten eineinhalb Stunden bis Ballen noch schön segeln. Trotzdem blieb die endgültige Klärung offen, ob wir irgendetwas falsch gemacht hätten.
Als wir den Hafen erreichten, fiel dem Skipper ein graues Schiff mit einer militärischen Kennzeichnung auf, das in der Nähe der Einfahrt ankerte. Sofort ergriff uns die Unsicherheit - hatten wir verbotenerweise ein Sperrgebiet durchfahren? In den Törnführern, die die Bordfrau gewissenhaft durchgearbeitet hat, steht, es gäbe 'empfindliche Geldstrafen' für derlei Vergehen. Wir schauten nicht hin und näherten uns der Hafeneinfahrt. Ein Schlag nach Lee, um die Genua zu bergen, ein Schlag in den Wind für das Großsegel. Aus dem Augenwinkel beobachtete der Skipper, dass das Patrouillenboot den Anker lichtete. Wir tuchten das Groß auf, verschlossen den Lazy-Bag und machten uns bereit für den Anleger: Fender und Leinen aus der Backskiste, Anschlagen der Festmacher. Das graue Boot nahm Fahrt auf - - - und fuhr an uns vorbei auf die offene See. Alle Sorge fiel von uns ab. Wir tuckerten in den Hafen, suchten einen Liegeplatz und machten fest - keine Strafgeldforderung, keine Peinlichkeit, alles OK!
 
Am Abend sortierten wir unsere Angelegenheiten, darunter auch das Kartenmaterial. Die Seekarten sind unterteilt in verschiedene Fahrtengebiete, und mit den südlichen Teil der Insel Samsö sind wir wieder im Gebiet "Kieler Bucht, rund Fünen" angelangt, unserem Heimatgebiet. Das erzeugt zwei verschiedene Gefühle: "Bald sind wir wieder zuhause." und "Bald sind wir wieder zuhause." Einerseits ist also ein Ende unserer besonderen Zeit in Sicht, andererseits können wir auch nicht leugnen, dass unsere Freunde, unsere Wohnung, unser Lebensmittelpunkt uns inzwischen auch ein bisschen fehlen. Außerdem gibt es eklatante Verschleißerscheinungen, z.B. an Skipper's Schuhwerk. Ob die Latschen noch zwei Wochen durchhalten?

Latschen

Auch der Reißverschluss am Lazy-Bag hängt am seidenen Faden.

Bag-Zipper

Ballen gefiel uns gut. Vermutlich ist es in der Hauptsaison dort unerträglich, aber nun, da die meisten Dänen keinen Urlaub mehr haben, Schweden schon gar nicht und für Norweger es vermutlich auch ein bisschen zu weit ist, ist die Liegeplatzverfügbarkeit und die allgemeine Frequenz von Menschen entspannt. Ein wenig touristisches Angebot, Restaurants, ein toller Strand, wir hätten länger bleiben können, ohne uns zu langweilen.

Ballen_Hafen

 

Bogense

Die Bordfrau hat die Törnplanung fast vollständig übernommen, der Skipper findet das gut. So trägt er nicht die Gesamtverantwortung für den Verlauf der Reise. Entsprechend sollte es an diesem Donnerstag nach Bogense gehen. 
Das frühe Ablegen hatten wir angesetzt, um am Nachmittag einem Regen zu entgehen, der dann aber gar nicht kam. Kurz nach dem Auslaufen war es noch sehr flautig.

Morgenflaute

Erst nach Umrundung der Südspitze von Samsö kam vernünftiger Wind auf, und wir konnten prima segeln - sehr entspannt, aber doch mit der Gewissheit guten Vorankommens. Um uns herum wurde motort und es wurden verschiedene Segelkonfigurationen ausprobiert. Unsere Santanita kam mit den Bedingungen gut zurecht, und so haben wir alle Vergleiche 'gewonnen'. Ein Skipper, der irgendwann entnervt den Spi einpackte und uns motorend überholte, rief uns zu 'Ich gebe auf!', was uns zeigte, dass nicht nur wir die Wettfahrt als solche empfunden haben. Nach dem Südschwenk hinter Aebelö wurde es sogar noch richtig sportlich. Wir näherten uns der Sieben-Knoten-Marke und nahmen es mit einem deutlich größeren Schiff auf, ohne dabei gedemütigt zu werden. Am frühen Nachmittag waren wir fest, und das Boot war klar. Wir erstatteten unsere Hafengebühren und waren zufrieden. Gegen Abend machten wir uns auf zu einem kleinen Einkauf zwecks Ernährung, schafften es aber nur bis zur Hafenkneipe 'Castor'. Dort begann genau mit unserem Eintreffen ein junger Sänger und Gitarrist mit seinem Unterhaltungsprogramm, dazu gab es etwas Warmes aus der dortigen Küche und gekühlte Getränke. Das gesamte Angebot nahmen wir freudig und dankbar an. Etwas Musik zur Hafenatmosphäre gehört auch dazu. Neben der Hafenbar ist der namensgebende Kutter als Museumsschiff aufgestellt und war an diesem Abend frei zu besichtigen. Den angesagten Regen gab es spät in der Nacht auf Freitag als ordentliches Gewitter. Das haben wir noch ein bisschen aus der Koje durchs Vorluk beobachtet und haben es dann verschlafen. 

Sänger Oscar

Bogense überzeugte in ganzer Linie. Der große Hafen ist komplett renoviert. Besonders die Feuchträume beeindrucken. Der Skipper mag sich täuschen, aber möglicherweise ist dort sogar eine Fußbodenheizung verlegt, wirklich luxuriös. Der ganze Ort ist ziemlich aufgeräumt und modernisiert, an dem kleinen Kanal neben dem Hafen ist fast ein bisschen Nizza-Feeling. An der Einfahrt des kleinen Kanals ist eine tolle Badestelle geschaffen und ein lustiges Gebäude errichtet worden, das einerseits als Leseraum mit Aussicht dient, andererseits als Plattform für die Besichtigung des Sonnenuntergangs - toll!

Lese-Sundown-Haus

Sundown  Bogense

Sogar einen Friseurtermin konnten wir endlich machen. Das wurde auch allerhöchste Zeit!

Und schon war auch diese elfte Woche rum. Die mittelfristigen Windprognosen schienen die Botschaft zu enthalten, dass wir nicht nachhause sollten. Es gäbe hauptsächlich Südwind....