Woche Vier

Fünf lange Tage und Nächte haben wir in Varberg verbracht. Der Tinnitus des Skippers, den er eigentlich durch Urlaub kurieren wollte, ist durch die Lärmkulisse des Windes im Hafen zu neuer Intensität angewachsen. Die Bordfrau leidet unter Schlafmangel, und allgemein sind wir gezeichnet durch Angestrengtheit und Durchhalterei. Aus diesem Grund fällt es uns schwer, die erste Chance zum Aufbruch zu ergreifen, dennoch raffen wir uns auf. Am Sonntag ist der Wind endlich runter und die Regenzellen rücken auseinander. Es entsteht für den Nachmittag ein Slot für die Flucht. Viele andere Crews sehen das wie wir und machen die Boote klar. Nach etwas Motorfahrt aus der Zufahrtsrinne setzen wir die Segel. Dabei wird noch einmal deutlich, was sich in den letzten Tagen über uns ergossen hat: Das Großsegel der Santanita liegt aufgetucht wie ein Trichter auf dem Baum. Zwar hat der Skipper das Regenwasser, das sich dort sammelt, bereits im Hafen ablaufen lassen, aber beim Aufheßen des Segels kommt noch ein guter Rest erfrischend auf uns heraus.
Die folgende Segelei entschädigt. Mit halbem Wind machen wir rauschende Fahrt und lassen einige Boote hinter uns. Die Segelei ist derart erfreulich, dass wir unser eigentlich geplantes Ziel (Gottskär) verwerfen und etwas weiter fahren, vorbei an einem Atomkraftwerk und einer Art Aufklärungsstation mit Radioteleskopen oder ähnlichen Einrichtungen. Falls der Russe kommt, dann zumindest nicht unbemerkt. Tatsächlich handelt es sich wahrscheinlicher um wissenschaftliche Anlagen.

AKW

Abhorchstation

So erreichen wir am frühen Abend Lerkil - ohne Schauer und sehr zufrieden über die tolle Segelei. Dort herrscht totale Ruhe, eine Aura, die wir ernstlich vermisst haben. Der Hafen ist nicht sonderlich attraktiv, aber die Ruhe tut uns gut. Ein großartiger Sonnenuntergang belohnt uns für das Aufraffen am Mittag. Endlich können wir erholsam schlafen, ohne kreischenden Wind und Schüttelei und Schräglage. Nur ein Regen am Morgen stört ein bisschen.

Sondown_Lerkil

Nachdem der verzogen ist, ist auch der letzte Wind weg. Wir wollen dennoch nicht bleiben. Also beschließen wir einen kurzen Schlag mit Wind aus dem Tank. Knappe 12 Meilen geht es durch den beginnenden Schärengarten nach Hovaes. Die Flaute und die Maschinenfahrt ergeben eine gute Gewöhnung an die Manövrierarbeit zwischen den Felsen. Es erschließt sich Meile für Meile die bizarre Schroffheit der Landschaft - keine Chance diese Eindrücke mit der Kamera festzuhalten. Wir versuchen es dennoch.

erste_Schäre

Hovaes ist kein offizieller Gästehafen. Das wussten wir nicht und haben einfach unter dem Mastenkran festgemacht, wie es in einem Reisebericht erwähnt war. Kein Hafenmeister, kein Zugang zu Feuchträumen. Wir treffen einen Offiziellen des ansässigen Segelvereins, der auf die Frage nach dem Hafengeld mit den Augen zwinkert und uns eine gute Nacht wünscht.

unterm Kran

Ein kurzer Spaziergang führt uns zu einer Badestelle. Dort gibt es auch ein Hafenrestaurant, in dem wir am Abend einen "Seglerburger" verhaften. Der Wirt, dem wir uns als segelnde Gäste öffnen, überschüttet uns mit Tipps, welche Orte wir alle besuchen sollten. Das schaffen wir in diesem Urlaub nicht.

Nach einer entspannten Nacht machen wir am Morgen den Plan für den nächsten Schlag. Wir wollen Göteborg liegen lassen und eine nördlich vorgelagerte Insel namens Öckerö besuchen. Die Fahrt sollte einfach verlaufen, mit halbem Wind, später etwas höher, aber zahm - tat sie aber nicht. Entgegen der Vorhersage blies es aus dem Fjord, in dem sich tief drin Göteborg befindet, mit satten 20 Knoten, an die wir ganz hoch dran müssen. Zum Glück hatten wir uns von Beginn an für reduzierte Besegelung - nur mit Vorsegel - entschieden. So wurde die Sache überhaupt machbar. Spaß gemacht hat's trotzdem nicht. Neben dem Material wurden auch die Nerven der Bordfrau auf eine harte Probe gestellt. Mit diesem akuten Trauma liefen wir bei tief hängenden dunkelgrauen Wolken in den Hafen von Öckerö ein. Der hätte bieten können, was er wollte, wir waren ziemlich wenig begeistert. Auch das Angebot des örtlichen Hökers konnte nicht aufmuntern. Immerhin gab es einige Backwaren, die uns am Morgen zum Frühstück schon gefehlt hatten. Abends leerte die Bordfrau den Rest des Rotweinschlauches und der Skipper nahm etwas trockenen Sherry. So beruhigt fanden wir einen tiefen Schlaf.
Der Morgen begrüßte uns mit strahlendem Sonnenschein. Sofort waren wir etwas versöhnt mit Situation und Ort. Dennoch wollten wir auch hier nicht bleiben.

Öckerö

Wieder mit nordwestlichem Wind und kleiner Besegelung machten wir uns auf, weiter nach Norden. Der harte Schlag des Vortages hatte immerhin unser Selbstbewusstsein bezüglich der Manövriererei zwischen den Schären ziemlich erhöht, selbst unter schwierigen Bedingungen.

Für den Abend haben wir uns einen ersten Höhepunkt des Schärensegelns vorgenommen: Eine Ankerbucht hinter einer Schäre, die uns vor dem Westwind schützen sollte. Allerdings hatten wir uns die etwas privater vorgestellt, denn sie war bereits belagert von einer guten Handvoll Booten, die direkt am Stein festgemacht hatten. Diese Art festzumachen bleibt uns verwehrt, aufgrund unseres erheblichen Tiefgang und des senkrechten Stevens ohne Abstieghilfe.
Also klassisch mit Grundeisen. Unser erster Eindruck war wenig romantisch, denn kurz nach unserem Ankern kam noch ein ganzer Schwung von Sportbooten, Seglern wie auch Motorbooten, die ebenfalls die Festmacher an der Schäre suchten. Nur wir lagen vor Anker. Der Windschutz des Felsens reichte kaum, um unter dem grauen Himmel für Annehmlichkeit zu sorgen. Wir verkrümelten uns unter Deck und kochten uns tatsächlich ein wärmendes Heißgetränk. Erst später kam die Sonne wieder durch und der Wind ließ nach. So kam dann doch noch _das_ Ankerbucht-Gefühl auf, das wir gesucht haben, obwohl wir uns die Bucht am Ende mit achtzehn Booten teilen mussten.

Ankersundown

Es folgte eine seelenruhige Nacht mit tiefem, erholsamen Schlaf. Lange hielt der Schlaf jedoch nicht, denn die Morgensonne entfaltete mit voller Kraft ihre weckende Wirkung. Die spiegelglatte See verstärkte diese Wirkung durch die Reflektion. Unser Solarpanel trieb die Bordspannung auf weit über 13 Volt. Ein brötchenloses Frühstück verschaffte dem Skipper Kraft für das Ankermanöver. Sicherheitshalber hatten wir ein zweites Grundgeschirr am Heck ausgebracht, so dass gleich zweimal Sport getrieben werden musste, bevor wir das Vorsegel ausrollten. Leider war auch außerhalb der schützenden Bucht so wenig Wind, dass wir mit Maschinenkraft für Vortrieb sorgen mussten.
Der Einsatz des Motors war ohnehin geplant, denn unsere Fahrt sollte durch den Albrechtsund vorbei an Marstrand gehen. Dort ist das Fahrwasser so eng, dass Segeln fahrlässig wäre. Wir machten nur halbe Fahrt, weil die Landschaft und die Ansiedlungen derartig beeindruckten.

Albrechtsund

Irgendwann öffnete sich die schmale Rinne und vor uns lag Marstrand, der Ort, von dem alle Schärentouristen schwärmen. Im Törnführer steht, dass Marstrand konsequent auf 'finanziell potente Gäste' setzt, und so sieht es auch aus. Wir haben ein Monaco-Gefühl, als wir an den Häfen mit den Millionärs-Yachten vorbei schippern. Als Zielgruppe fühlen wir uns allerdings nicht angesprochen und passieren die High Society, sind aber froh, zumindest diesen Eindruck gewonnen zu haben.

Marstrand

Unser Ziel heißt heute Skärhamn, wo wir mit einem befreundeten Seglerpaar aus Strande verabredet sind, die bereits einige Wochen vor uns gestartet sind und uns schon auf ihrem Rückweg entgegenkommen.

Das sich öffnende Gewässer nördlich von Marstrand und die unglaublich schöne Schärenwelt täuschen nicht darüber hinweg, dass das Gebiet touristisch geflutet wird. Eine gefühlte Unendlichkeit an Booten, speziell auch Motorbooten schlängelt sich durch die bevorzugten Routen, die in den Seekarten ausgewiesen sind. Erst abseits derer findet man das ruhige Wasser, das entsteht, indem die Felsen die Wellen der offenen See brechen. Auf den vielbefahrenen 'Hauptstraßen' sind es die unzähligen Motorboote, die mit unangepasster Geschwindigkeit das Wasser wieder aufwühlen,  von der Geräuschkulisse ganz zu schweigen - schade. Es sind größtenteils auch Einheimische, die ihre Refugien suchen - und hinter allen möglichen Felsen finden. Dort stört dann nichts und niemand.

Wir kennen die Hauptstrassen nicht und so passiert es quasi aus Versehen, dass wir uns zwischen einsamen Felsen durchschlängeln. Das kann manchmal ganz schön kribbelig werden. Eine Durchfahrt war nur rund zehn Meter breit und ebenso hoch ragten steil die Steine nach oben. Das machte, dass es in der Durchfahrt absolut keinen Wind mehr gab und die Santanita drohte mangels Fahrt manövrierunfähig zu werden. Mit dem letzten Rest kinetischer Energie erreichten wir die Ausfahrt, an der sich das Vorsegel wieder füllte.

Angekommen in Skärhamn wurden wir bereits in der Hafeneinfahrt von einer jungen Mitarbeiterin auf einem Schlauchmotorboot in Empfang genommen und eingewiesen. Am Steg arbeiteten noch mehr junge Helferinnen mit roten Shirts und hießen uns hilfreich willkommen, indem sie uns die Mooringleine anreichten und die Vorleinen abnahmen - toller Service!

Rothemden

Die Crew der Hedda ist recht erfahren in dem Revier und gibt uns am Abend beim Konsum einiger Genussgetränke Tipps für die kommenden Ziele. Schon am darauffolgenden Tag fuhren sie weiter - für die Heimreise standen die Winde günstig. Für uns, die wir weiter nach Norden wollen, eher nicht. Skärhamn präsentiert sich uns sehr typisch, gastlich und mit einer äußerst freundlichen Kirche im Zentrum.

Grinsekirche

Wir bleiben ein paar Tage, genießen das inzwischen sommerliche Wetter und das Farbspiel der Sonnenuntergänge, wenn es nicht bewölkt ist.

Sundown_vor_Skärhamn

Außerdem erledigen wir ein bisschen Logistik (Einkauf, Wäschewaschen, Reinemachen), was auch beim Leben auf dem Boot notwendig ist.
Das Ende unserer vierten Woche verleben wir also in Skärhamn. Entgegen der ersten, anstrengenden Zeit sind wir nun wirklich im Urlaub. Wir stellen uns vor, dass die ersten drei Wochen üblicherweise unser gesamter Jahresurlaub gewesen und dass wir dann ziemlich enttäuscht wären. So aber sind wir sehr glücklich, dass das eben nicht der Fall ist. Trotzdem drängen sich erste Gedanken an die Rücktour auf. Erstmal wollen wir aber noch etwas in diesem traumhaften Revier bleiben.